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Audio – Ein Interview mit dem Designer und Gründer von Terrastrato Amplifiers: Andreas Lohse

 

Warum ein besonderes Audiosystem?

Um Musik schlicht zur Kenntnis zu nehmen, benötigen wir kein besonderes Audiosystem. Um Musik zu erleben, ihr beizuwohnen, im Aufnahmestudio, im Kammerorchester, im Jazzclub – und das, obwohl die beteiligten Musiker vielleicht schon vor Jahrzehnten zusammengetreten sind, dazu schon. Eine hervorragende Aufnahme und ein gutes Wiedergabesystem versetzen uns in die Lage, in die Vergangenheit oder an einen anderen Ort zu reisen, können eine Solistin wenige Meter vor uns wieder auferstehen lassen, als wäre ihre Anwesenheit spürbar, als ließe sich der Bühnenboden unter ihren Füßen erahnen oder der Luftzug ihres Ansatzes. Ein großes Versprechen, das ein guter Single-Ended-Verstärker an effizienten Lautsprechern erfüllen kann, besonders bei Aufnahmen mit einer reduzierten Aufnahmetechnik, mit nur zwei Kondensatormikrophonen in AB-, Blumlein- oder OSS-Technik, dem von Jürg Jecklin entwickelten Aufnahmeverfahren, das zwei Kondensatormikrophonkapseln im Ohrabstand durch eine flache bedämpfte Scheibe trennt, um mit nur zwei Lautsprechern eine dreidimensionale Klangbühne in unser Studio oder Wohnzimmer zu zaubern. Oft sind es alte Aufnahmen oder Aufnahmen, von denen wir es nicht erwartet haben, die diesen Zauber entfachen, wenn wir sie mit einem adäquaten Wiedergabesystem abspielen.

Ein Wiedergabesystem, das auf einer Technik der 1920-30er Jahre beruht?

Ja, im Falle des Verstärkers ja.

Warum Single-Ended-Triode?

Ein Verstärker sollte als Glied einer Kette gedacht werden, die die Physik dynamischer Lautsprecher, die Ausbreitung des Schalls in Luft und Raum, unsere Ohren und die Signalverarbeitung des Gehirns mit einbezieht. Erst in diesem Zusammenhang wird sich erklären lassen, warum das Verhalten von SET-Verstärkern in Hörtests so oft bevorzugt wird.
In Gegensatz zu anderen Verstärkerdesigns sind Single-Ended-Triode Verstärker auch ohne Gegenkopplungschleife weitgehend frei von harmonischen Verzerrungen höherer Ordnung und deren Intermodulationsprodukten. Dafür messen wir ohne Gegenkopplung hohe Anteile harmonischer Verzerrungen niedriger Ordnung, die unter realen Abhörbedingungen jedoch nicht als irritierend oder unnatürlich empfunden werden und sich weitaus weniger schädlich auf die Auflösung und räumliche Darstellung der Musik auswirken. Ich bin der Meinung, dass ein Verstärker um so natürlicher klingt, je weniger er auf Gegenkopplung angewiesen ist. Das rückt die Triode in den Mittelpunkt eines minimalistischen Verstärkerdesigns, in dem auch dynamische oder transiente Intermodulationsverzerrungen wesentlich vermieden werden.
Der Nachteil von SET-Verstärkern besteht in ihrer hohen Wärmeverlustleistung, teuren Bauelementen und einer vergleichsweise geringen Leistungsausbeute, wenn die Wärmeabgabe an den Hörraum auf einige hundert Watt beschränkt werden soll. Bei der Lautsprecher Auswahl empfehlen sich deshalb Lautsprecher mit höherer Effizienz.

Womit starte ich?

Mit zwei effizienten Lautsprechern, einem 2-Kanal SET-Verstärker, einem Rechner mit gutem DAC und einem durchschnittlich ausgestatteten Wohnraum mit angenehmer Akustik und etwas Freiheit bei der Platzierung der Lautsprecher.

Wenn Sie der Musikindustrie ein Media Format für den Ladenverkauf vorschreiben könnten…

Sagen wir: 1/4″ Magnetband mit 19cm oder 38cm/Sek. Spielgeschwindigkeit in einem farbig bedruckten Karton, immer kombiniert mit einem 48kHz FLAC-Download. Das könnte teuer werden, also bleiben wir bei der LP, kombiniert mit einem FLAC-Download.

Warum einen neuen Verstärker?

Es existieren 60 Jahre alte Studio-Monitore, professionelle Abtaster, Tonarme und Antriebe, Bandmaschinen, 30 Jahre alte DACs, die so gut sind, dass keine Neuentwicklung sie aus unseren Studios und Hörräumen vertreiben kann. Auf alte professionelle SET-Verstärker trifft das nicht wirklich zu, einfach weil sie so selten sind und bereits vor 70 Jahren von wirtschaftlicheren Konstruktionen verdrängt wurden. Schwere SET-Verstärker mit großen direkt beheizten Trioden wie der Terrastrato Typ-1 sind auf Gleichstromheizung angewiesen, und die lässt sich praktisch nur mit den später entwickelten Halbleiter-Gleichrichtern erzeugen.

Wie bestelle ich?

Mit etwas Geduld. Jeder Terrastrato-Verstärker wird erst nach der Bestellung montiert. Es muss mit einer Montagezeit von bis zu 8 Wochen gerechnet werden. Das bietet jedoch auch die Möglichkeit auf Kundenwünsche einzugehen, was Schnittstellen und besondere Bauelemente betrifft. Kommen Sie jedoch nicht zu sehr ins Grübeln, die Auswahl und der Einsatzort von Kupferdraht, Karbonfilmwiderständen, Ölpapier-, Mylar- und Teflon-Kondensatoren wurde mit sehr viel Bedacht vorgenommen.

Gedruckte Platinen oder freie Verdrahtung?

Ich verwende bei dem mechanischen Aufbau 3mm starke Boards aus phenolgetränkter Baumwolle. Die Boards haben hervorragende dielektrische und dämpfende mechanische Eingenschaften. Sie tragen die Lötstützpunkte, auf denen alle Bauelemente handverdrahtet und verlötet sind. Dieser Aufbau ist mechanisch belastbarer und sicherer als gedruckte Platinen.

Lieblingslautsprecher?

Gegenkopplungsarme SET-Verstärker gehen mit Lautsprechern eine Einheit ein und erschaffen zusammen mit ihnen ein neues Klangbild. Bei effizienten Lautsprechern mit kontrolliertem Impedanzverlauf ist davon auszugehen, dass ein SET-Verstärker die Lautsprecher auf ein ungekannt offenes Klangniveau anhebt. Kontrollierter Impedanzverlauf heißt, dass die Lautsprecher bei keiner Frequenz die Nennimpedanz um mehr als 25% unterlaufen – beispielsweise bei angegebenen 8 Ohm auf nicht weniger als 6 Ohm abfallen. Lautsprecherhersteller können hierüber Auskunft erteilen. Das macht die Wahl des „Lieblingslautsprechers“ zu einer interessanten und sehr individuellen Angelegenheit.

Aber Surround-Sound?

Ein guter 2-Kanal Verstärker ist in der Lage, eine dreidimensionale Klangbühne in der vorderen Hälfte des Abhörraums scharf abzubilden – eine entsprechende Aufnahme und gute Lautsprecher vorausgesetzt. Die üblichen digitalen Surroundsysteme bieten hier keine angemessene Alternative. Für die realistische Abbildung einer Klangbühne ist also ein geeignetes Stereosystem das Mittel der Wahl!

Ambisonics ist bis heute das einzige freie, offene und multikompatible Mehrkanal-Tonsystem, das Klangfeld-Aufnahmen mit koordinatengetreuer Abbildung von Klangkörpern im gesamten Raum ab vier Kanälen ermöglicht – theoretisch sogar vollständig analog. Quadrophonie, Surround-Sound 5.1 und Atmos leisten das nicht. Ich beobachte Entwicklungen im Bereich Ambisonics aufmerksam. Mit zwei Terrastrato Typ-1 und einem Rechner ließe sich ein perfektes Ambisonics System aufbauen. Schade bleibt nur, dass es kaum Klangfeldaufnahmen gibt.

Musik im ganzen Haus?

Ich bin Verfechter einer anderen Art des Musikhörens. Ziel ist eine naturalistische, holographische Abbildung der Klangbühne. Ein Livemusiker beispielsweise nimmt einen konkreten Platz in dieser Klangbühne ein und befindet sich eben nicht überall im ganzen Haus.

Und Aktivlautsprecher?

Hinter diesem Begriff verbergen sich zwei Verfahrensweisen, die oft, aber nicht zwangsläufig miteinander kombiniert werden: erstens die Verwendung einer aktiven Frequenzweiche für Hoch- und Tieftöner vor den Leistungsverstärkern (bei zwei Verstärkern auch als „Bi-Amping“ bezeichnet) und zweitens die Unterbringung des Leistungsverstärkers im Lautsprechergehäuse. Diese „integrierten“ Lautsprecher erscheinen praktisch, aber auch sie benötigen mindestens ein angeschlossenes Kabel – für die Stromversorgung. In der Regel kommen aus Gründen der thermischen Effizienz und der geringen Baugröße Class-D Verstärker zum Einsatz. Besteht die Wahl zwischen einer integrierten 2-Wege Lautsprecherbox mit zwei internen Class-D Verstärkern und einem diskreten 2-Wege Lautsprecher-System mit mindestens einem externen Class-A Verstärker, empfehle ich letzteres.
Digitales Streamen und Aufbewahren von Musik bietet Annehmlichkeiten, analoge Leistungsverstärkung frei von digitalen Artefakten ebenfalls. Überall dort, wo kontemplatives Abhören von Aufnahmen im Vordergrund steht, sollten wir auf einen diskreten, analogen Verstärker als vorletztes analoges Glied einer ansonsten auch digitalen Wiedergabe-Kette nicht verzichten. Wenn korrigierende digitale Signalverarbeitung (DSP) eingesetzt werden muss, dann im zuspielenden Rechner. Digitale Hard- und Software wird stetig weiter entwickelt und schnell obsolet und ersetzt. Gute analoge Verstärker und Lautsprecher überdauern wie ein Musikinstrument Generationen.

Sind Kabel entscheidend?

Ich vermute, dass zufällige Veränderungen der Raumakustik – durch einen über den Stuhl geschlagenen Mantel beispielsweise – relevanter sein könnten, als die Unterschiede zwischen hochwertigen Verbindungskabeln. Nicht so bei der Verbindung von MM-Systemen mit einem Phono-Entzerrvorverstärker, denn Moving-Magnet-Abtaster reagieren im Hochtonbereich empfindlich auf die Kapazität des Verbindungskabels. Und wir finden hier die unterschiedlichsten Kabelkapazitäten vor, durch unterschiedliche Längen, innere Querschnitte und das Dielektrikum des Anschlusskabels. In der Regel liegt die ideale Gesamtkapazität (des Vorverstärkereingangs, des Anschlusskabels und der internen Verdrahtung des Tonarms) bei 250pF bis 500pF. Am Terrastrato Typ-R1 Entzerr-Vorverstärker kann die Gesamtkapazität und auch die Eingangsimpedanz durch Plugins angepasst werden, dort wo für MC-Abtaster der Eingangsübertrager eingesteckt werden darf. MC-Abtaster, das sei an dieser Stelle gesagt, sind weitgehend unempfindlich gegenüber unterschiedlichen Eingangskapazitäten im pF-Bereich und daher unempfindlicher gegenüber dem ausgewählten Verbindungskabel. Es ist aber in jedem Fall richtig, ein koaxiales NF-Kabel mit komfortabler Länge, vielleicht von einem Meter, und niedriger Kapazität zu wählen und mit einem Plugin auf die gewünschte Gesamtkapazität zu ergänzen. Eine niedrige Kapazität verschiebt dabei die Resonanzfrequenz des MM-Abtasters nach oben, z.B. von 10kHz auf 16kHz, wodurch sich das System sauberer anhört, sie erhöht jedoch auch den Pegel der Resonanzfrequenz und senkt den Hochton-Präsenzbereich bei ca. 7kHz ab, so dass das gesamte Frequenzspektrum des Systems nicht mehr ausgeglichen klingt. Mit einer Erhöhung der Eingangsimpedanz von sagen wir 47kOhm auf 100kOhm ließe sich der Hochton-Präsenz-Bereich bei 7kHz wieder entsprechend anheben, um den Preis jedoch, dass sich der Pegel der Resonanzfrequenz bei ca. 16kHz noch weiter erhöht. Kabelparameter spielen also vor allem bei Einsatz von MM-Abtastern eine Rolle.